Die Abschaltung von Facebook und Instagram in der EU wäre der Super-GAU für die Influencer-Branche. Meta nennt das Szenario aber tatsächlich in seinem aktuellen Jahresbericht. Als Grund dafür wird der europäische Datenschutz genannt. Vier Gründe sprechen aber dagegen.

Autor: Petru Leuthold

Als ich das erste Mal von Rückzugsplänen von Meta aus Europa gelesen habe, war meine erster Gedanke, das wäre der Super-GAU für unsere Influencer-Branche. Vor allem Instagram ist aktuell eins der wichtigsten Plattform für Influencer:innen und Grundpfeiler deren geschäftlichen Erfolgs. Tatsächlich hat Meta wortwörtlich, das Szenario, Facebook und Instagram in der EU abzuschalten, in ihrem Jahresbericht für die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC, auf Seite neun, niedergeschrieben. 

Bevor nun aber Panik hochsteigt, gibt es erstmal eine kleine Entwarnung. Die Londoner Zeitung CITY A.M. konnte einem Sprecher des Meta Konzerns eine Stellungnahme zur Aussage im Jahresbericht, entlocken. Darin heißt es: "Wir haben absolut keinen Wunsch und keine Pläne, uns aus Europa zurückzuziehen, aber die schlichte Realität ist, dass Meta und viele andere Unternehmen, Organisationen und Dienste auf den Datentransfer zwischen der EU und den USA angewiesen sind, um globale Dienste anbieten zu können." Das Stichwort in der Aussage, ist der Datentransfer zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Doch warum ist dieser ein Problem?

Das Problem: Ein fehlendes Abkommen für den Datentransfer und die Datenverarbeitung zwischen EU und USA 

Um es auf dem Punkt zu bringen: Meta verdient Geld durch den Verkauf personalisierter Werbeanzeigen und deren Auswertung. Das Geschäftsmodell verträgt sich aber nicht mit dem seit 2018 gültigen europäischen Datenschutzgesetz der DSGVO. Das Gesetz sagt unter anderem, dass die Sammlung, Speicherung und Verarbeitung von Daten von EU Bürgern nur noch unter hohen Auflagen möglich ist. Noch höher liegen die Auflagen, wenn ein Datentransfer und die Datenverarbeitung in Drittländern passiert. Das trifft auf Meta zu. Das Unternehmen speichert und verarbeitet die in dessen sozialen Medien gesammelten Daten nämlich in die USA. Darunter befinden sich auch die Daten von uns Europäern.

Um den Transfer von Daten zwischen EU und USA wiederum zu vereinfachen, wurde ein Abkommen zwischen beiden Staatengemeinschaften ausgehandelt, das EU-US Privacy Shield genannt wird. Darin wurde unter anderem festgelegt, dass amerikanische Unternehmen, die am Privacy Shield teilnehmen, über sogenannten Standardvertragsklauseln Daten in der EU sammeln, in die USA transferieren und dort verarbeiten dürfen. Das war 2016.

Europäische Datenschützer liefen gegen den EU-US Privacy Shield aber Sturm. Denn amerikanische Unternehmen müssen per Gesetz deren Regierungsorgane bei einer Anfrage Zugriff auf alle vorhandenen Daten geben, auch auf die der EU-Bürger, sofern sie welche besitzen. So wurde das EU-US Privacy Shield-Abkommen durch den Europäischen Gerichtshof im sogenannten Schrems II-Urteil, im Jahr 2020 für nichtig erklärt. Wir haben hier berichtet. Seitdem wird durch die Europäische Union und den Vereinigten Staaten an einer Alternative gearbeitet, die mit der DSGVO vereinbar ist. Ein Ergebnis wird Mitte dieses Jahres erwartet.

Das Worst-Case-Szenario: Ein neues EU-US-Abkommen kommt nicht zustande

Mitte 2022 werden die europäischen Behörden bekannt geben, ob es ein neues Abkommen für den Datentransfer zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika geben wird. Sollten sich die Staatengemeinschaften nicht einigen können und es kommt kein neues Abkommen zustande, könnte tatsächlich das Worst-Case-Szenario eintreffen: Es würde an einer rechtlichen Grundlage für den Transfer von Daten aus der EU in die USA fehlen.

Deswegen heißt es im aktuellen Jahresbericht von Facebook: “Wenn ein neuer transatlantischer Rahmen für den Datentransfer nicht vereinbart wird und wir nicht in der Lage sind, uns weiterhin auf SCCs (Anm. d. Red.: Standardvertragsklauseln) zu verlassen oder auf andere alternative Mittel für den Datentransfer von Europa in die Vereinigten Staaten zurückzugreifen, werden wir wahrscheinlich nicht in der Lage sein, eine Reihe unserer wichtigsten Produkte und Dienstleistungen, einschließlich Facebook und Instagram, in Europa anzubieten, was sich erheblich und negativ auf unseren Geschäft, unsere Finanzlage und unsere Betriebsergebnisse auswirken würde.”

In dem Fall wäre Meta tatsächlich in die Ecke gedrängt und müsste wahrscheinlich in letzter Instanz Facebook und Instagram in der EU vom Netz zu nehmen. 

Das Best-Case-Szenario: Ein neues EU-US-Abkommen entsteht - diese 4 Gründe sprechen dafür

Je nach Auslegung der Bedeutung des Datenschutzes innerhalb der EU ist das Worst-Case-Szenario nicht unwahrscheinlich. Angesichts der Tatsache, dass Europa und die Vereinigten Staaten wirtschaftlich, aber auch freundschaftlich eng miteinander verknüpft sind, ist aus meiner Sicht ein neues Abkommen für den Datentransfer zwischen der EU und USA wahrscheinlicher. Dafür sprechen vier Gründe:

1. Ein neues EU-US-Abkommen ist im Interesse beider Staatengemeinschaften

Tatsächlich würde das Worst-Case-Szenario nicht nur Meta treffen, sondern alle Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf eine Datenübermittlung und -verarbeitung in die USA basieren. Darunter sind sehr viele bekannte Onlineanbieter von beispielsweise Websitebaukästen, Cloud-Dienste, Newsletter-Tools, Konferenz-Tools oder Social Media-Management-Tools, um nur ein paar wenige zu nennen. Was zunächst für den Datenschutz gut klingt, würde ein wirtschaftlicher Super-GAU nicht nur für amerikanische, sondern auch für viele europäische Unternehmen gleichkommen. Die Amerikaner würden auf einem Schlag ein Kontinent als Kunde verlieren. Wir Europäer müssten uns von heute auf morgen auf eine neue IT-Infrastruktur umstellen, die mit hohen Investitionen in Verbindung steht.

Meta wäre also ein wichtiger Nutznießer eines neuen Abkommens, aber bei Weitem nicht der einzige. Es geht vielmehr um alle Institutionen und Unternehmen, die an transatlantische Beziehungen ein Interesse haben. Das schon alleine macht das Zustandekommen eines neuen Abkommens wahrscheinlicher.

2. Es stehen zu viele Jobs auf dem Spiel

Amerikanische Unternehmen verkaufen nicht nur ihre Tools und Dienste nach Europa. Sie sind innerhalb der EU auch wichtige Arbeitgeber. 

Meta hat beispielsweise angekündigt, in den nächsten fünf Jahren 10.000 neue Stellen in der EU schaffen zu wollen, wie das Handelsblatt berichtete. Die neuen Mitarbeiter sollen am Entstehen des neuen Metaverse arbeiten. 

Diese Jobs in Gefahr zu bringen, kann nicht Ziel der EU-Politik sein.

3. Meta muss reagieren: Die Einhaltung des Datenschutzes ist heute ein Must-have statt ein Nice-to-have

Der Schutz der Daten seiner Bürger ist nicht nur innerhalb der EU ein wichtiges politisches Thema. Auch die anderen Nationen arbeiten an Gesetzen zur Stärkung ihres Datenschutzes. Das ist die neue Realität, an die sich Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle auf die Datensammlung und -verarbeitung aufgebaut haben, gewöhnen müssen. Das gilt auch für Meta.

So beschreibt Meta in seinem Jahresbericht, dass nicht nur die DSGVO und das fehlende Abkommen zwischen der EU und der USA eine Herausforderung für deren Geschäftsmodell ist. Das Vereinigte Königreich, das seit dem Brexit nicht mehr zur EU gehört, Brasilien und auch “andere Staaten”, wie es darin heißt, torpedieren durch ihre Gesetzgebungen Metas Geschäftsmodell. Doch auch im eigenen Land werden neue Datenschutzhürden für Meta zur Gefahr. Kalifornien hat mit dem California Consumer Privacy Act (CCPA) ein zur DSGVO ähnliches Gesetz erlassen, dass den Datenschutz stark reglementiert.

Und dann gibt es noch Apple und Google. Sie haben sich auf die Fahne geschrieben, die Datensammlung innerhalb deren Ökosysteme, sprich auf iOS- und Android-Geräte, für Drittanbieter-Apps, wozu auch Meta gehört, zu erschweren. Das soll den Datenschutz ihrer User stärken. Damit hat Meta jetzt schon ein Problem, da beispielsweise das Targeting auf iOS-Geräten erschwert wird. Meta schreibt im Jahresbericht, dass die Werbeeinnahmen in der zweiten Jahreshälfte 2021 durch die Datenschutzfunktion im iOS negativ beeinflusst wurden.

Im Umkehrschluss heißt das für Meta, dass sie gar nicht anders kann, als sich schnellstens neue Geschäftsmodelle zu überlegen oder die bestehenden anzupassen, um in die neue Datenschutzrealität wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ist auch Meta bewusst. Im Jahresbericht schreiben die Verfasser: “Wenn wir nicht in der Lage sind, diese Entwicklungen abzumildern (...), werden unsere Targeting- und Messfähigkeiten wesentlich und nachteilig beeinflusst, was wiederum unser zukünftiges Werbeumsatzwachstum erheblich beeinträchtigen würde.”

Sprich, auf kurz oder lang wird Meta das Werbegeschäftsmodell an den Datenschutz anpassen müssen. Am Ende geht es ums große Geld, wie die letzte Annahme zeigt.

4. 25 Prozent Umsatz aufgeben? No way! 

Die Autoren des Magazins Trendingtopics.eu haben sich angeschaut welcher Umsatz Meta in Europa 2021 erwirtschaftet hat. Es sind 25 Prozent vom Gesamtumsatz. In Zahlen sind das ungefähr 30 Milliarden Dollar von weltweit circa 118!

Auf einem Viertel seines Geschäfts verzichtet keiner gern. Vor allem kein Aktienunternehmen, das seinen Anlegern verpflichtet ist. Sogar im Falle, dass kein neues EU-US-Abkommen zustande kommt, kann ich mir gut vorstellen, dass Meta eine Lösung finden wird, seine Dienste in der EU wie gehabt anzubieten. Denn die DSGVO verbietet den Datentransfer und die -verarbeitung in Drittstaaten nicht. Es stellt nur sehr hohe Anforderungen, die von Unternehmen, die ein Interesse an der Zusammenarbeit mit EU-Unternehmen und Institutionen haben, erfüllen müssen. Das “Kleingeld”, sich sogar in diesem Fall anzupassen, müsste Meta bei den Umsätzen ja haben.

Zusammenfassend

Metas Geschäftsmodells, das aktuell hauptsächlich auf die Auslieferung von targetieren Werbeanzeigen basiert, funktioniert nicht ohne die Daten der User. Die immer höher werdenden Anforderungen an Datenschutz, die seitens Gesetzgeber, aber auch der Betreiber von Betriebssystemen für Smartphones führen dazu, dass Meta weniger Daten sammeln kann. Sollte ein Abkommen für den Datentransfer zwischen EU und USA nicht kommen, könnte Meta in der Lage versetzt sein, Daten von EU-Bürgern sogar nicht mehr sammeln zu dürfen. Somit kann Meta nicht anders als im Jahresbericht für die Börsenaufsichtsbehörde SEC, das Szenario für die Abschaltung von Facebook und Instagram in der EU zu nennen.

Das Zustandekommen eines neuen Abkommens für den Datentransfer zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika wäre nur wünschenswert. Ebenfalls auch, dass Meta mit seinen Diensten in Europa bleibt. Trotz aller Kritik an dessen Plattformen, die sich in den letzten Jahren gesammelt haben, haben sie auch ihre guten Seiten. Eine davon ist, dass sie uns Creator:innen eine Stimme gibt. Für einige von uns sogar auch ein Business ermöglicht, zum Beispiel als Influencer:in.

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