TikToks, Reels, Shorts - Ist es nun für alle Content Creator:innen verpflichtend auf das Hochformat umzusteigen? Und was macht ein erfolgreiches 9:16-Video aus? WeCreate Group Creative Strategist Kirstin Gaska gibt Antworten.

Autor: Petru Leuthold

Zurückblickend auf das letzte Jahr, kann man ruhigen Gewissens behaupten, dass sich das 9:16-Format auf fast alle Plattformen etabliert hat. Gründe dafür waren sicherlich auch, dass Instagram mit Reels und YouTube mit Shorts das Format nach TikToks Erfolg eingeführt haben. Doch welche Bedeutung werden Hochformatvideos für Content Creator:innen 2023 einnehmen? Und was macht ein gutes 9:16-Video aus? Kirstin Gaska kennt die Antworten auf diese Fragen, weswegen wir sie zum Interview eingeladen haben.

Als Creative Strategist bei WeCreate Group, der Agentur für 9:16-Videos, verantwortet sie erfolgreiche Influencer Marketing-Kampagnen, die mit Fokus auf Hochformat entwickelt werden. Zugleich steht sie im engen Kontakt mit Content Creator:innen, die mit diesem Format durch die Decke gehen, darunter Herr Anwalt oder Nadine Breaty. Denn wecreate ist zugleich auch Management für Influencer:innen, die sich größtenteils erfolgreich über TikTok, YouTube Shorts und Reels positioniert haben. 

INFLZR: Wird sich der Fokus auf das Hochformat 2023 verstärken und falls ja von wem? Nutzer:innen, Content Creator:innen oder Plattformen?

Kristin Gaska: 2022 hat die strukturelle Entwicklung hin zum 9:16-Format eingeläutet, das stimmt. Zuerst sahen wir das anhand von rasant steigenden Nutzerzahlen bei TikTok,  danach stiegen auch Nutzungen und Impressionen für Reels und Shorts. Big Player wie Netflix haben es adaptiert, aber auch in nischigeren Bereichen wie “Ultimate Guitar Chords & Tabs”, einer App zum Gitarrespielen, hat sich das Format bewiesen.  Dieser Trend wird sich fortsetzen, solange das Kern-Feature einer Plattform nicht darunter leidet oder abgeschafft wird. Bei Twitter z.B.. würde das nicht passen, dort steht ein anderer Nutzen im Fokus. 

Auch die Zahlen an Nutzer:innen und Creator:innen werden weiter steigen, wenn auch nicht mehr so rasant, wie wir das 2021 und 2022 beobachten konnten. Plattformen werden vor allem Creator:innen weiterhin für die Erstellung von Content belohnen,  da sich das Hochformat als Garant für lange Verweildauern auf der jeweiligen Plattform beweist.

INFLZR: Was macht das Hochformat so attraktiv im Vergleich zum Querformat?

Kristin Gaska: Es sind vor allem zwei Dinge: Convenience und Komprimierung.

Ersteres bezieht sich auf Hardware und die damit verbundene Integration in den Alltag: Wir sind viel unterwegs und bewegen uns - auch digital. Unser dafür konstruierter, treuer Begleiter ist das Smartphone. Da ist es ganz natürlich, dass Inhalte - auch Videos - irgendwann das Format annehmen mussten, auf das das Smartphone ausgerichtet ist. Früher wurden Inhalte auch oder vor allem am PC/Laptop konsumiert, da war vor allem das 16:9-Format gängig. Das Smartphone hingegen liegt im Hochformat einfach besser in der Hand. Es scheint kontraintuitiv, unser Smartphone für die Nutzung anders zu halten - und das ist es auch. 

Komprimierung hingegen bezieht sich vor allem auf die 9:16-Inhalte. Haben wir früher 10-30 minütige YouTube-Videos gesehen oder 8 Minuten lang einen Artikel gelesen, ist das heute vielen zu lang. In unserer schnelllebigen Welt gibt es den Wunsch nach einem Rahmen, um das Wichtigste in Kürze zusammenzufassen. Die Kürze von 9:16-Inhalten ist also wichtig. Bestes Beispiel ist TikTok, das mit seinen erst 15-sekündigen und heute 3-minütigen Videos seinen Beitrag zum Durchbruch des Formats geleistet hat. Schlechtes Beispiel ist IGTV das mit seinen langen Inhalten gefloppt ist. 

INFLZR: Unterschiedlichen Berichten zufolge arbeitet TikTok daran, eine Funktion für Videos im Querformat einzuführen. Was bedeutet diese Entwicklung für Content Creator:innen? Es klingt nämlich danach, als ob der Konflikt der zwei Formate neu entfacht wird.

Kristin Gaska: Ja, bei einigen Usern ist das Querformat bereits verfügbar. Das ist jedoch weniger ein Kampf um zwei Formate als ein Kampf zweier Unternehmen: Google mit YouTube vs. Bytedance mit TikTok. Es deutet sich an, dass diese beiden Giganten in den kommenden Jahren zu den größten Konkurrenten werden. YouTube kopierte TikTok mit den Shorts. TikTok wildert jetzt in YouTube-Gefilden. Das Querformat ist dafür gedacht, sich langfristig zu etablieren und um zu verhindern, dass Nutzer:Innen zu YouTube abwandern.

Es gibt u.a. in Amerika Testläufe mit bis zu 10-Minuten Videos. Das sind dann Längen, bei denen Nutzer auch mal das Handy aufstellen würden, um es zu sehen. Auch Videos, die in die Cinematic-Richtung gehen, also besonders ästhetisch ansprechend sind, profitieren davon. Das heißt auch, dass TikTok mehr kreative Köpfe auf der Plattform haben will und Creator:innen für sich gewinnen möchte. Für diese soll die Plattform spannend(er) sein oder werden. 

Gerade etablierte Creator:innen sollten auf jeden Fall auf TikTok bleiben, falls sie lange Videos machen wollen. Auch für diejenigen, die sich aufgrund der Disruption des Formats auf 9:16 Video-Content umstellen, sollten TikTok YouTube vorziehen.

INFLZR: Die meisten Content Creator:innen in eurem Management setzen meist auf Hochformat und sind damit sehr erfolgreich. So zum Beispiel der Tech-Influncer DasIstJay. Seine Videos veröffentlicht er auf YouTube, Instagram und TikTok zugleich. Auf allen drei Plattformen hat er so große Reichweiten aufbauen können. Sollten 2023 Content Creator:innen überhaupt noch auf eine einzige Plattform setzen oder mittels Hochformatvideos den Versuch eingehen, überall Präsenz aufzubauen?

Kristin Gaska: Wie Herr Anwalt sagen würde: Es kommt darauf an. Grundsätzlich gibt es keine Regel, wie welche Plattform oder wie viele man als Creator:in bespielen soll, doch ein Vorteil liegt auf der Hand: Auf mehreren Plattformen aktiv zu sein und sich dort Reichweite - viel wichtiger aber eine Community - aufzubauen, bedeutet, nicht von einer Plattform abhängig zu sein. Sollte es die Plattform nicht mehr geben oder man gesperrt werden, kann es für den Unterhalt vielleicht eng aussehen. Andererseits sagt man auch, “wer zwei Hasen jagt, fängt keinen” - heißt, alle Plattformen bespielen zu wollen, kann dazu führen, Communities oder Plattformen halbherzig zu betreuen, und so am Ende nicht optimal zu performen, je nachdem, was man als optimal bewertet. Es kommt deshalb darauf immer auf den inidividuellen Fall an. 

INFLZR: Zuletzt eine Frage rund um die Produktion von Videos im Hochformat. Was macht ein erfolgreiches 9:16-Video aus? Welche Tipps habt ihr für Content Creator:innen?

Kristin Gaska: Es kann  immer Ausnahmen geben, die ein Video zu etwas Besonderem machen, aber diese drei Tipps würde ich immer empfehlen: 

  1. Eine gute Hook. Die ersten Sekunden müssen ein “Scroll-Stopper” sein, sie sollen Aufmerksamkeit erzeugen  und verhindern, dass Nutzer:innen weiter swipen. Erfolgreiche Hooks sprechen Bedürfnisse, Wünsche oder Emotionen der Zielgruppe an und geben ein Versprechen an den Inhalt des folgenden Videos.
  2. Mehrwert. Hat man erstmal Aufmerksamkeit gewonnen, muss auch geliefert werden. Das geht vor allem dann, wenn ich mein Versprechen aus der Hook einlöse. Dafür sollte ich möglichst komprimiert auf den Punkt kommen oder bei Inspiration oder Entertainment die Spannung halten.
  3. Optimiertes Cutting. Egal, ob man in der App aufnimmt und schneidet oder ob man es später auf der Plattform hochlädt, Hochformat-spezifisches Cutting ist ein wesentlicher Skill, den es für ein erfolgreiches Video normalerweise braucht.  Weitere Indikatoren für gutes Cutting sind, den gesamten Bildschirm in Szene setzen, Textelemente nicht mit Plattform-Symbolen überlappen lassen sowie Sprechpausen, Versprecher und überflüssige Geräusche entfernen.

INFLZR: Danke liebe Kristin für die wichtigen Insights für unsere Creator:innen-Community.

Teile diesen Beitrag